Design im Selbstportrait – die aktuelle Design Biennale in Venedig
Die ersten Sonnenstrahlen lassen früh morgens die Palazzi in goldenem Licht erstrahlen.
Ungestört vollführen die Tauben ihre Flugshow über dem Markusplatz. In Ruhe begutachten die Einwohner die Waren in den kleinen Obst-, Gemüse und Lebensmittelläden. Die Venezianer haben ihre Stadt zurück. Fast. Denn natürlich hat sich unter uns Europäern bereits herumgesprochen, dass Venedig in diesen Zeiten eine Reise wert ist. Ohne Gedränge und Geschiebe in den Gassen, Brücken und Plätzen.
Die Pandemie hat den weltweiten Tourismus auf ein Minimum zurückgefahren. In touristischen Hotspots wie Venedig lässt sich das am Eindrucksvollsten erkennen.
Grund genug, die Chance beim Schopfe zu packen und anlässlich der dritten „Venice Design Biennial“ der Lagunenstadt einen Besuch abzustatten.
Selbstverständlich ist diese 3. Ausgabe der Design Biennale Venedig keine einfache Fortsetzung der vorherigen zwei. Die Planungen sind durch ein schwieriges Jahr 2020 gegangen und noch navigieren die Veranstalter durch ebenso trübes Gewässer wie in den Kanälen Venedigs. Aber sie haben ein Programm auf die Beine gestellt. In diesem Jahr, vom 20. Mai bis zum 27. Juni, präsentiert die „Design Biennale Venedig“ fünf Hauptausstellungen, die auf monumentale und ikonische Veranstaltungsorte in der ganzen Stadt verteilt sind.
Ich mache mich früh morgens auf den Weg, der zeitgenössischen Kreativität und Design ein Besuch abzustatten.
Das Motto der diesjährigen Biennale ist „Design als Selbstporträt“. Alle fünf Hauptausstellungen beschäftigen sich mit diesem Thema. Das Selbstporträt wurde erst mit der Renaissance zu einer eigenständigen Kunstgattung. Heute – im Zeitalter der Selfies und sozialen Netzwerke – ist das Selbstportrait immanenter Bestandteil unserer Kultur geworden. Das Internet hat einen universell zugänglichen und freien Raum zur Selbstdarstellung geschaffen. Wir alle sind sozusagen „Kuratoren“ unseres Selbst, Selbstdesigner, die sich durch den Konsum von Produkten oder Erfahrungen unserer Wahl und durch die Art und Weise, wie wir diese Entscheidungen anderen mitteilen, ausdrücken.
Besonders fällt das bei meinem ersten Stopp im „Oratorio dei Crociferi“ auf.
Im antiken Oratorium der Kreuzritter hängt der prächtige Bilderzyklus aus der Spätrenaissance von Palma dem Jüngeren. Der Bilderzyklus ist den Kreuzrittern gewidmet und portraitiert ganz „selbstlos“ den 88. Dogen Venedigs Pascale Cigogna. Er war im Ausgang des 16. Jahrhunderts auch als Schutzherr der Kreuzritter bekannt. Drei übergroße Gemälde portraitieren den Dogen und umrahmen die vom Duo Pretziada kuratierten Ausstellungsprojekte: Ein Stuhl, zwei Gefäße und eine Skulptur, die in Zusammenarbeit zwischen sardischen Werkstätten und internationalen Kreativen entstanden sind.
Pretziadas Werk evoziert eine Welt, die in Zeit und Raum scheinbar weit entfernt ist. Ein zukünftiges und auch archaisches Zeitalter, das sowohl in der sardischen als auch in der venezianischen materiellen Kultur noch sehr lebendig ist. Funktionalität und Dekoration, Einfachheit der Formen und Reichtum der Details sind die Merkmale dieser Kollektion. Der Doge Venedigs schafft die Repräsentation seines Selbst in einem Raum, in dem die Designobjekte mit ihm zu einer hybriden IdentitätWir beschreiben eine Organisation dann mit koordini... verschmelzen.
Eine weitere hybride Inszenierung erwartet mich im Eingang zur zweiten Hauptaustellung.
Das SPARC*-Spazio Arte Contemporanea im Herzen Venedigs, direkt neben der Accademia-Brücke, ist eine Privatwohnung mit Blick auf den Campo Santo Stefano und wurde 2017 in einen Ausstellungsraum umgewandelt. Die dort gezeigte Ausstellung untersucht die Rolle von Design bei der Wahl unserer Kommunikationsmittel und dem Ausdruck unserer Identität. Das wird besonders bei dem jungen tschechischen Designer Tadeas Podracky deutlich, der seine neueste Serie von Arbeiten ausstellt. Die zwei Spiegel sind das Ergebnis seiner venezianischen Zusammenarbeit mit lokalen Handwerkstraditionen. Lokale Materialen wie Murano Glas und Spiegelkunst werden mit Holz aus dem venezianischen Bootsbau zu einer ganz neuen Komposition verbunden, die mich eine Korallenstruktur unter Wasser assoziieren lässt.
Nächster Stopp auf meinem Weg durch Venedig ist das Performance- und Installationsprojekt „Walking on Water“ der englischen Modedesignerin Jo Cope.
Sie hat in der Zusammenarbeit mit der MarkeAls Marke bezeichnen wir ein Kennzeichen, die neben... Piedàterre, einem Spezialisten für die originalen venezianischen Samtschuhe, eine ganz klare Verbindung von Design und venezianischer Tradition geschaffen. Die Terrasse des Fondaco dei Tedeschi, der neuen luxuriösen Shoppingmeile Venedigs, ist eine wirklich beeindruckende Bühne, die sogar über das Wasser des Canale Grande hinausragt. In einer Performance von vier Tänzerinnen verbinden sich Gesten einer Schuhhandwerkerin mit der kraftvollen Stimme einer Sopranistin. Durch die Aktion des Gehens und dem typisch venezianischen Schuh als Ausdrucksmittel portraitiert die Designerin Frauen heutzutage in Bezug auf die Geschichten und Wege der Frauen vergangener Zeiten.
Past Forward. Die Ausstellung „Designer aus dem Land Venedig“ im Archäologischen Museum von Venedig.
Wer die Werke von 16 Designern, die heute in Venedig und seiner Umgebung leben und arbeiten, kennenlernen möchte, muss ins bekannte Archäologische Museum. Ich treffe hier auf eine ganz eigene Zusammenstellung: Auf zeitgenössische Vasen und ihre zweitausend Jahre alten Pendants, auf Polyurethan-Skulpturen zwischen klassischen Bildhauerarbeiten, auf mundgeblasene Glas- und harmonische Stahllampen, die von Büsten und antiken Münzen umgeben sind, und auf farbige Hocker, die sich mit Marmorreliefs abwechseln. Durch diese Kombination von Meisterwerken der antiken Kunst und zeitgenössischen Designstücken verkörpert die Ausstellung den doppelten Blick auf Vergangenheit und Zukunft, der für Venedig schon immer charakteristisch ist.
Mein 5. und eigentlich letzter Stop ist eine Ausstellung – auf der Insel Giudecca gelegen.
Das SPUMA ist ein stimmungsvoller Raum industrieller Archäologie. Innerhalb des Industriekomplexes der ehemaligen Dreher-Brauerei sollen beeindruckende Räume aus Betonböden und weiß gestrichenen Ziegel- und Gipskartonwänden mit einer Raumhöhe zwischen 3 und 6 Metern entstanden sein. Aber auf dem Weg dorthin bin ich in einer Trattoria am Zattere hängen geblieben. Erschöpft von den vielen Eindrücken und mit großem Durst und Hunger. So habe ich mich ganz profan dem Selbstbild meines Appetites hingegeben und dem permanenten Schwanken zwischen Gebrauch und Darstellung, Realität und Virtualität eine ganz kulinarische Grundbedürftigkeit hinzugefügt.
Venice Design Biennial, 3rd Edition, Venedig 20.05. bis 27.06.2021
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